Fortschritt mit Nebenwirkungen - Wie Blei die Antike veränderte
Ein Beitrag von Nisa Iduna Kirchengast - Redaktion: Daniel Kunc, Thomas MauerhoferKleiner bikonischer Körper aus Blei mit Öse. - © Niederösterreichische Landessammlungen
„Wie Blei an den Füßen“ oder „schwer wie Blei“ – Redensarten, die das Metall Blei mit Schwere und Last assoziieren, spiegeln bis heute seinen besonderen Charakter wider. Doch war Blei in der Antike weit mehr als eine Metapher: Es prägte den Alltag und die Infrastruktur, stand für Fortschritt und Innovation, war aber auch ein Gesundheitsrisiko.
Blei wurde in Form großer Barren aus den Bergbaugebieten in die Provinzen des Römischen Reiches transportiert. In römischer Zeit wurde der Rohstoff in zahlreichen Regionen abgebaut, wie auf dem Balkan, in Griechenland, Kleinasien, Spanien, Britannien und Germanien. In Britannien etwa setzte die industrielle Bleigewinnung unmittelbar nach der römischen Eroberung durch Kaiser Claudius (43 n. Chr.) ein. Ursprünglich eng mit der Silbergewinnung verbunden, entwickelte sich Blei im Laufe der Zeit selbst zu einem wichtigen Rohstoff, der durch bereits fortschrittliche Verfahren zu einem vielseitigen Werkstoff verarbeitet wurde.
Blei fand Einsatz im Bauwesen, etwa zur Verklammerung von Steinblöcken – bei der Porta Nigra in Trier wurden schätzungsweise sieben Tonnen Blei verbaut. Im Schiffbau schützte Blei die Holzrümpfe vor Schädlingen, während es in der Wasserversorgung für die Herstellung der berühmten Bleirohre (sogenannte fistulae) genutzt wurde. Insbesondere in urbanen Zentren wie Pompeji spielte dieses Material eine Schlüsselrolle bei der Verteilung von Trinkwasser. Für komplexe Druckleitungen, die Täler überbrückten, wurden bis zu zwölf parallel verlaufende Bleirohre verwendet. Die Schätzungen für solche Projekte, wie die Wasserleitung von Lugdunum (Lyon), belaufen sich auf einen Bedarf von bis zu 40.000 Tonnen Blei.
Neben seinen architektonischen und infrastrukturellen Anwendungen wurde Blei auch für Gewichte, Amulette, Erkennungsmarken (tesserae) oder Fluchtafeln (lat.: defixiones; mit Inschriften versehene Bleibleche, die mit vermeintlichen Schadenszaubern versehen sind) verwendet. Blei nimmt in diesem Zusammenhang eine außergewöhnliche Rolle ein. Zum einen ist es weich genug, um mit einem Metallgriffel leicht beschrieben zu werden, wobei die Schrift durch Ausklopfen ebenso einfach entfernt werden kann. Zum anderen zeichnet es sich durch seine Schwere, dunkle Farbe und giftige Eigenschaften aus – Merkmale, die bereits in der Antike bekannt waren und dem Metall eine symbolische Verbindung zu den Göttern verliehen. Im Militär wurden kleine Bleigeschosse, sogenannte „Schleuderbleie“, eingesetzt. Auch aus Carnuntum stammen zahlreiche Bleifunde, wie etwa bleierne Wasserohre, Bleigewichte oder -tafeln. Der Bedarf an Blei war so hoch, dass ein reger Handel über weite Strecken betrieben wurde. Römische Bleibarren, die oft über 80 kg wogen und Inschriften zur Herkunft und Datierung trugen, sind heute wertvolle Quellen für die Erforschung antiker Handelsrouten.
Fluchtäfelchen, ursprünglich um einen dreikantigen Nagel gewickelt; unregelmäßige Form; Inschrift in lateinischer Sprache mit griechischen Textteilen verfasst. - © NÖ Landessammlungen
Der gesundheitliche Preis des Fortschritts
Die römische Bleiverarbeitung hinterließ jedoch nicht nur wirtschaftliche Spuren, sondern auch langfristige Umweltfolgen. Eiskernanalysen aus Grönland belegen zwischen dem 5. Jahrhundert v. Chr. und dem 3. Jahrhundert n. Chr. einen deutlichen Anstieg des atmosphärischen Bleigehalts, der durch den Bergbau und die Verhüttung verursacht wurde. Neben seiner vielfältigen Verwendungsmöglichkeit war Blei nicht ungefährlich. Bereits Vitruv und später Plinius beschrieben die giftigen Dämpfe, die bei der Verarbeitung des Metalls entstanden. Moderne Forschungen belegen, dass die breite Verwendung von Blei im römischen Alltag – von Wasserleitungen über Kochgeschirr bis hin zur Weinveredelung und -süßung mit sogenanntem „Bleizucker“ (lat. sapa) – zu erheblichen gesundheitlichen Schäden führte. Auch archäologische und geologische Untersuchungen zeigen erhöhte Bleikonzentrationen in Sedimenten und fossilen Böden, die auf eine weitreichende Umweltverschmutzung hinweisen.
exemplar autem ab artificibus plumbariis possumus accipere, quod palloribus occupatos habent corporis colores. namque cum fundendo plumbum flatur, vapor ex eo insidens corporis artus et in diem exurens eripit ex membris eorum sanguinis virtutes. itaque minime fistulis plumbeis aqua duci videtur, si volumus eam habere salubrem. saporemque meliorem ex tubulis esse cotidianus potest indicare victus, quod omnes structas cum habeant vasorum argenteorum mensas, tamen propter saporis integritatem fictilibus utuntur. (Vitruv 8,6,11)
„Dies lässt sich durch die Beobachtung der Arbeiter in der Bleiverarbeitung überprüfen, die eine blasse Gesichtsfarbe aufweisen; denn beim Gießen von Blei setzen sich die Dämpfe des Metalls an den verschiedenen Körperteilen ab und verbrennen sie täglich, wodurch die Lebenskraft des Blutes zerstört wird. Wasser sollte daher unter keinen Umständen durch Bleirohre geleitet werden, wenn wir darauf bedacht sind, dass es gesund bleibt. Dass der Geschmack von Wasser, das durch Tonrohre geleitet wird, besser ist, zeigt sich bei unseren täglichen Mahlzeiten: Denn alle, die silberne Gefäße auf ihren Tafeln verwenden, greifen dennoch zu solchen aus Ton, da bei diesen die Reinheit des Geschmacks erhalten bleibt.“
Chronische Bleivergiftungen hatten vor allem neurologische Auswirkungen. Neuere Studien legen nahe, dass die Bleibelastung den durchschnittlichen Intelligenzquotienten der Bevölkerung um bis zu drei Punkte senkte. Insbesondere Kinder waren betroffen, was nicht nur individuelle, sondern auch gesellschaftliche Konsequenzen hatte: Die Leistungsfähigkeit und Kreativität der römischen Gesellschaft könnten durch diese kognitiven Beeinträchtigungen erheblich eingeschränkt worden sein. Hinzu kamen physische Beschwerden wie Nierenschäden, Bluthochdruck und ein geschwächtes Immunsystem, die möglicherweise auch die Lebenserwartung und die Effizienz der Arbeitskräfte reduzierten.
Bleivotive in Aediculaform wurden in großer Anzahl in Carnuntum gefunden. Meist zeigen sie drei weibliche Gottheiten, die als Slivanae, Begleiterinnen des Silvanus, oder auch als Triviae, also Göttinnen der Wegkreuzungen identifiziert werden können.
Rechtes Votiv: Bleivotiv in Spiegelform, linke Votive: Bleivotive in Aediculaform - © NÖ Landessammlungen, Archäologischer Park Carnuntum (Foto: N.Gail)
Weiterführende Literatur:
G. Kremer – M. Holzner, Do ut des – Bleivotive aus Carnuntum, CarnuntumJb 2012, 2012, 31–69.