Krankheit, Kult und Kur: Medizin im antiken Carnuntum
Ein Beitrag von Nisa Iduna Kirchengast - Redaktion: Daniel Kunc, Thomas MauerhoferCarnuntum war in der Antike weit mehr als die Hauptstadt einer römischen Provinz an der Grenze des Reiches – mit seiner Infrastruktur, den Lazaretten und seinen Heilquellen war es auch ein medizinisches Zentrum. Als Standort von Legions- und Auxiliareinheiten mit etwa 7000 Soldaten hatte vor allem die römische Militärmedizin eine hohe Bedeutung. Archäologische Funde und Inschriften zeugen von der zentralen Rolle der Gesundheitsversorgung, sowohl im militärischen als auch im zivilen Bereich.
Bad Deutsch-Altenburg, bis heute bekannt für seine Jod-Schwefel-Quellen, weist besonders günstige natürliche Bedingungen für Gesundheitskuren auf, die bereits in der Römerzeit genutzt wurden. Die oft geäußerte Annahme, dass sich unter dem heutigen Kurhaus eine römische Thermalquelle befinde, ist allerdings archäologisch bisher nicht gesichert. Jedoch wurden Mauerreste und Weihinschriften von curatores thermarum, also Verwaltern der Thermen, entdeckt.
Kopf einer Statuette des Aesculap - © Niederösterreichische Landessammlungen
Die militärische Präsenz in Carnuntum erforderte eine gut organisierte medizinische Infrastruktur. Zwei Militärkrankenhäuser (sogenannte Valetudinarien) standen den Truppen zur Verfügung: eines im Auxiliarkastell und eines im Legionslager. Das 1904 ausgegrabene Lazarett des Legionslagers war über 6.000 m² groß und folgt dem typischen Grundriss derartiger Gebäude mit Krankensälen und Innenhof. Ein kleines Heiligtum im Hof deutet auch auf kultische Praktiken zur Förderung der Genesung hin. Besondere Fundstücke, wie der Statuenkopf des Heilsgottes Äskulap und ein vermutlich dazugehöriges Schlangenstabfragment (heute noch als Äskulapstab beim Apothekenzeichen präsent), weisen auf einen Heilskult hin.
Grabplatte des Eucratus. - © Niederösterreichische Landessammlungen
Inschriften belegen das Wirken von Militärärzten, Sanitätern und zivilen Medizinern. Außergewöhnlich ist die Überlieferung der Namen zweier Ärzte, die in Carnuntum tätig waren: Lucius Iulius Optatus und Lucius Iulius Euthemus. Ein weiterer Arzt, der Sklave Eucratus, wird auf einem Grabstein geehrt, den sein Herr Lucius Iulius Euthemus für ihn setzen ließ. Die Inschrift betont die Verdienste des jungen Mediziners, der bereits mit 25 Jahren starb:
Eucratus med/icus L(ucii) Iuli(i) Euthemi / medici ser(vus) an(norum) XXV / h(ic) s(itus) e(st) L(ucius) Iulius Euth(e)/mus dominus ob / meritis eius posuit
Sogar ein Legionstierarzt ist epigraphisch nachgewiesen. Ärzte, die im Vergleich zu heute teilweise sozial weit niedriger standen, wurden oft von der Stadt bezahlt und genossen teils sogar Steuer- und Abgabenbefreiungen. Sie verlangten zusätzlich aber häufig dennoch Honorare von Patienten. Ihr medizinisches Instrumentarium war umfangreich und an die jeweilige Praxis angepasst, ein Studium wie heute gab es aber nicht – am Ende konnte jeder als Arzt wirken, durchaus zum Nachteil der Patienten. Auch die militärischen Sanitäter, die sogenannten capsarii, sind in Carnuntum epigraphisch belegt und hatten eine zentrale Rolle in der Versorgung der Soldaten.
Die Hygiene in Carnuntum war fortschrittlich, aber nicht flächendeckend. Wasserleitungen, Kanäle und öffentliche Latrinen zeugen von den römischen Bemühungen um Sauberkeit und Gesundheit. Dennoch waren viele Haushalte nicht an diese Infrastruktur angeschlossen, daher waren Lösungen wie spezielle Nachttöpfe weit verbreitet. Bioarchäologische Untersuchungen von Fäkalien in Abwasserkanälen belegen den Befall der Bevölkerung mit Parasiten wie Spulwürmern. Paläopathologische Untersuchungen an Skeletten aus Carnuntum liefern zudem wertvolle Einblicke in den Gesundheitszustand der Bevölkerung.
Rekonstruktion eines Instrumentenkästchens eines römischen Arztes. Hier wurden Medikamente, Salben und Kräuter, aber auch medizinische Geräte aufbewahrt. Rekonstruktion nach einem Originalfund aus dem Grab eines Arztes in Wehringen, Ldkr. Augsburg. - © Niederösterreichische Landessammlungen
In der konventionellen Medizin der römischen Antike spielten auch Heilgötter und magische Praktiken eine wichtige Rolle. Ein besonders interessanter Fund ist ein Zaubertäfelchen aus einem Grab, das gegen Migräne eingesetzt wurde. Der Text beschreibt das übernatürliche Wesen Antaura, das Migräne verursachen soll: zum Schutz davor wird die Göttin Artemis (Ephesia) gerufen. Dies unterstreicht auch das Vorhandensein von Glaubensvorstellungen an geisterhafte Krankheitsursachen und göttlichen Schutz.
Von Heilquellen über Lagerkrankenhäuser bis hin zu magischen Amuletten und überlieferten Ärzten gibt Carnuntum einen umfassenden Einblick in die antike Gesundheitsversorgung. Archäologische Funde, Inschriften, medizinische Infrastruktur und bioarchäologische Befunde skizzieren so heute ein Bild von einem eng verwobenen Zusammenspiel von Militär, medizinischen Dienstleistungen und religiösem Glauben in der antiken Gesellschaft.
Literatur:
E. Hauff, Die medizinische Versorgung von Carnuntum, CarnuntumJb 1993/94 (1995) 89ff.
R. Breitwieser – F. Humer – E. Pollhammer – R. Arnott (Hrsg.), Medizin und Militär – Soldiers and Surgeons. Beiträge zur Wundversorgung und Verwundetenfürsorge im Altertum. Akten des IV. Internationalen Kolloquiums, Hainburg, 17.-19. September 2015, Archäologischer Park Carnuntum – Neue Forschungen 15 (St. Pölten 2018).