Wissenschaft

Leben an der Grenze – Carnuntum als Umschlagplatz der Kulturen

Ein Beitrag von Nisa Iduna Kirchengast - Redaktion: Daniel Kunc, Thomas Mauerhofer

Der Donaulimes war nicht nur eine militärische Grenze des Römischen Reiches, sondern auch eine Zone intensiver Interaktion zwischen Bevölkerungsgruppen entlang der Donau. Während südlich der Donau das römische Imperium mit seinen teils befestigten Städten, Handelsplätzen und Legionen dominierte, erstreckten sich nördlich germanische Siedlungsgebiete. Diese Grenzregion war nicht nur Schauplatz militärischer Auseinandersetzungen, sondern auch ein Raum wirtschaftlichen Austauschs und kultureller Begegnungen.

Germanen – wer waren sie, wo lebten sie?

Bereits ab der Mitte des 1. Jahrhunderts v. Chr. war der nördliche Donauraum von Bevölkerungsgruppen besiedelt, welche von den Römern als Kelten und Germanen bezeichnet wurden. „Germanen“ war deshalb ein Sammelbegriff für verschiedene Gruppen wie Markomannen, Quaden oder Langobarden, die in dezentral organisierten Siedlungen lebten und keine Eigenbezeichnung dieser Gemeinschaften. 

Die Siedlungen bestanden meist aus Einzelgehöften mit Pfostenbauten und Grubenhäusern, die Gesellschaft war von Stammesstrukturen geprägt, wobei viele Anführer enge Beziehungen zum römischen Imperium pflegten und ihre Macht oft durch römische Unterstützung festigten. Tacitus beschreibt im 1. Jahrhundert n. Chr., dass germanische Könige nicht nur durch militärische, sondern auch durch finanzielle Hilfe Roms gestützt wurden. Dies führte zu engen Verflechtungen zwischen germanischen Fürsten und der römischen Administration.

© Landessammlungen NÖ

Sitzender "Germane" mit am Rücken gefesselten Händen, Fundort Carnuntum. - © Niederösterreichische Landessammlungen

Auch wenn schriftliche Quellen wie jene der Germania von Tacitus wichtige Quellen zur Beziehung von Römern und Germanen darstellen, muss bedacht werden, dass hier stets die römische Sicht beschrieben wird und diese dementsprechend kritisch gelesen werden muss. Schon die literarische Bezeichnung des Gebietes der germanischen Stämme als "Barbaricum" und die Beschreibung der Bewohner als “Barbaren" (altgriechisch bárbaros, „Stotterer“) gibt einigen Aufschluss über die antiken Sichtweisen. “Barbaren“ wurden auch in der römischen Kunst meist kniend, gefesselt oder bittend dargestellt – eine ethnische Unterscheidung ist selten. Germanen erkennt man oft am sogenannten Suebenknoten, eine für den Stamm der Sueben typische Haartracht. In der politischen Propaganda flankieren sie häufig ein Tropaion, den mit Waffen behängten Siegespfahl, der auch in Miniaturform auf Münzen oder Statuetten die Überlegenheit Roms symbolisiert.

Wichtig ist hierbei nicht heutige Konzepte wie Nationalstaaten oder territoriale Staatsgebiete rückwirkend auf die Antike zu projizieren. Auch wenn der römische (Donau)Limes die Grenze des Imperiums darstellte, darf man sich diesen nicht wie etwa den Eisernen Vorhang vorstellen. So siedelten germanische Gruppen auch südlich der Donau der Donau, wie etwa Ausgrabungen u.a. in Bruckneudorf (Bezirk Neusiedl am See) oder Pellendorf (Bezirk Bruck an der Leitha) zeigen. In Grenzregionen fand ein stetiger Austausch statt, so handelt es sich hierbei vielmehr um Einfluss- und Machtsphären denn um genau vermessene Staatsgebiete. 

© Römerstadt Carnuntum

Der Donaulimes von Passau bis nach Budapest bildet, nach dem Hadrians- und Antoninuswall in Großbritannien sowie dem „Obergermanisch-Raetischen Limes“ in Deutschland, seit 2021 den dritten Teilabschnitt des UNESCO Weltkulturerbes „Frontiers of the Roman Empire“ (Grenzen des Römischen Reichs).

Carnuntum als römischer Knotenpunkt

Das Limesvorland zwischen Boiodurum, dem antiken Passau, und Carnuntum war eine bedeutende Kontaktzone. Germanische Gruppen siedelten hier und standen teils unter direktem oder indirektem Einfluss Roms. Besonders entlang der March und im Weinviertel, wo auch mehrere römische Marschlager aus der Zeit der Markomannenkriege nachgewiesen wurden, entstand ab dem 2. Jahrhundert n. Chr. eine hohe Siedlungsdichte, die mit dem Verlauf der Bernsteinstraße zusammenhing – einer bedeutenden Handelsroute von der Adria bis zur Ostsee. 

Germanische Siedlungen weisen oftmals zahlreiche römische Importgüter auf, darunter Trinkgeschirr, Bronzeobjekte und Luxuswaren. Carnuntum wuchs im 1. Jahrhundert n. Chr. zu einem bedeutenden Produktions- und Handelszentrum, das Waren über die Donau hinaus nach Norden exportierte. Ab dem 2. Jahrhundert n. Chr. intensivierte sich dieser Austausch entlang der Bernsteinstraße, die den Mittelmeerraum mit Nord- und Mitteleuropa verband.

© Landessammlungen NÖ

Römisches Tafelgeschirr (Terra Sigillata, Fundort Drösing) aus dem germanischen Siedlungsraum nördlich der Donau. - © Niederösterreichische Landessammlungen

Wirtschaftlicher und kultureller Austausch

Von daher ist nochmals zu betonen, dass der Donaulimes keine unüberwindbare Barriere war, so prägten Handelsbeziehungen seit dem 1. Jahrhundert die Region. Römische Waren wie Olivenöl, Wein und feines Tafelgeschirr gelangten in germanische Gebiete, während von dort Rohstoffe wie Wolle, Tierhäute, Fleischprodukte, Honig und Bernstein exportiert wurden. Der Handel erfolgte oft über Zwischenhändler – in Germanien etappenweise, während in Carnuntum römische Kaufleute die Weiterverarbeitung übernahmen. Über die Handelsbeziehungen und Transportwege durch germanische Gebiete entlang der Bernsteinstraße berichtet so etwa Plinius der Ältere: 

DC M p. fere a Carnunto Pannoniae abesse litus id Germaniae, ex quo invehitur, percognitum nuper, vivitque eques R. ad id comparandum missus ab Iuliano curante gladiatorium munus Neronis principis. […]
Plinius, nat. hist. 37,45–46

Man hat kürzlich erfahren, dass jene Küste Germaniens, von der (der Bernstein) eingeführt wird, von Carnuntum in Pannonien etwa 600 Meilen entfernt ist, und es lebt noch ein römischer Ritter, der von Iulianus, dem Unternehmer der von Kaiser Nero veranstalteten Gladiatorenspiele, zum Herbeischaffen (von Bernstein) ausgeschickt worden war.

Ein weiteres Zeichen für den kulturellen Austausch ist die Übernahme römischer Bauweisen in germanischen Siedlungen. Besonders im heutigen Bratislava-Dúbravka oder Zohor finden sich Spuren römischer Villenarchitektur kombiniert mit germanischer Bautradition. Auch die Integration germanischer Krieger in das römische Heer verstärkte diese Wechselwirkungen. So sind im 3. Jahrhundert n. Chr. germanische Einheiten in Ägypten oder in der spätantiken Kaiserresidenz von Ravenna belegt. In der Spätantike nahm dieser Austausch weiter zu, als germanische Krieger vermehrt in römischen Diensten standen. 

Die römischen Truppen sicherten nicht nur die Grenze, sondern förderten auch Wirtschaft und Kultur entlang ihrer Marschrouten. Regelmäßige Soldzahlungen belebten den Handel, Veteranen ließen sich als Siedler im Umland der Lagerstandorte nieder, und Infrastrukturmaßnahmen wie Straßenbau veränderten die Region nachhaltig. Die Römer brachten neue Technologien und Organisationsstrukturen mit, während germanische Herrscher von römischer Unterstützung und dem Handel profitierten. 

© (c) Römerstadt Carnuntum

Die Grenze am Donaulimes war weit mehr als eine militärische Barriere – sie war eine Schnittstelle zwischen Menschen, die sich trotz militärischer Konflikte über Jahrhunderte hinweg gegenseitig beeinflussten. Mit dem Ende der römischen Herrschaft im 5. Jahrhundert n. Chr. zerfielen die politischen Strukturen, doch der kulturelle Einfluss Roms blieb spürbar. Carnuntum bleibt ein einzigartiges Zeugnis dieser Grenzwelt – eines Lebens zwischen Militär und Zivilgesellschaft, Krieg und Handel, römischer Ordnung und kulturellem Austausch.

Veranstaltungstipp

Am ersten Aprilwochenende erwachen die Bewohner Carnuntums zum Leben: Unter dem Thema "Leben an der Grenze" verkörpern Kulturvermittler der Römerstadt historische Bewohner des antiken Carnuntums und erzählen vom Handel, Austausch und dem Leben am römischen Limes.