Vom Öden Schloss zum Brückenkopfkastell: Archäologische Untersuchungen in der Stopfenreuther Au
Ein Beitrag von Nisa Iduna Kirchengast - Redaktion: Daniel Kunc, Thomas Mauerhofer„Niemand überquert die Grenze unbeobachtet“ – was heute nach einem Agententhriller klingt, war am römischen Donaulimes Realität. Doch die römischen Grenzbefestigungen waren keine starren Verteidigungsanlagen, sondern ein flexibles Kontroll- und Kommunikationssystem. Sie überwachten den Grenzverkehr, erhoben Zölle und verhinderten kleinere Übergriffe. Neben Wachtürmen und großen Legionslagern spielten vor allem Kastelle und Brückenköpfe eine zentrale Rolle: strategisch an Flussübergängen errichtet, sicherten sie militärische Operationen und kontrollierten wichtige Handelsrouten.
Ein Brückenkopfkastell in Carnuntum
Doch was genau ist ein Brückenkopfkastell? Dabei handelt es sich um eine militärische Anlage, die zur Sicherung eines Flussübergangs diente. In der Regel wurde ein solches Kastell auf der gegenüberliegenden Seite eines Grenzflusses errichtet, um eine strategisch wichtige Brücke zu kontrollieren. Von dort aus konnten römische Truppen nicht nur den Flussübergang, sondern auch die angrenzenden Gebiete überwachen. Insbesondere am Donaulimes waren solche Anlagen ein integraler Bestandteil der römischen Grenzsicherung und dienten der Kontrolle von Handelsrouten und Truppenbewegungen.
Im Herbst 2024 gelang in der Stopfenreuther Au erstmals der archäologische Nachweis eines römischen Brückenkopfkastells auf österreichischem Boden. Vergleichbare Anlagen sind bislang nur aus der Slowakei bekannt, insbesondere das Kastell Iža-Leányvár gegenüber von Brigetio, wo kürzlich Reste einer römischen Donaubrücke entdeckt wurden.
Plan der Ausgrabung 1898 unter der Leitung von Maximilian von Groller-Mildensee (siehe Groller-Mildensee 1900)
Historische Hinweise und erste Grabungen
Schon um 1850 berichtete Eduard von Sacken über damals noch sichtbare Mauerreste in der Stopfenreuther Au und deutete diese als römischen Brückenkopf. Laut ihm querte möglicherweise hier die Bernsteinstraße die Donau, wobei Ziegelstempel der legio XV Apollinaris seine These untermauern. Spätere Untersuchungen um 1900 durch die Limeskommission der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften unter Leitung von Maximilian von Groller wurden jedoch durch Hochwasser erschwert. Sein Plan dokumentiert eine abgerundete Mauerecke mit angrenzenden Strukturen, doch blieben sowohl die Funktion als auch die genaue Datierung unklar.
Bis etwa 1860 waren die Mauerzüge an der Oberfläche sichtbar und in der Region unter den Namen Hungerstein oder Durstkugel bekannt. Urkundlich wurde die Anlage als Veste Stopfenreuth oder Ödes Schloss erwähnt. Vergangenes Jahr starteten erneut Untersuchungen an dieser Fundstelle: Im Februar 2024 führte GeoSphere Austria geophysikalische Untersuchungen durch, die aufgrund der dichten Vegetation jedoch erschwert waren. Im September 2024 wurde mit der archäologischen Grabung begonnen.
Mauerreste des Kastells bei Niedrigwasserstand im Jahre 1908 (Wikimedia Commons)
Neue Erkenntnisse aus den Ausgrabungen 2024
Im Herbst 2024 führten das Österreichische Archäologische Institut der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und das Land Niederösterreich eine Forschungsgrabung in der Stopfenreuther Au durch – in enger Abstimmung mit dem Nationalpark Donauauen und dem Bundesdenkmalamt. Ziel war es, neue Erkenntnisse zur römischen Befestigung am „Öden Schloss“ zu gewinnen. Die Grabungen brachten hervorragend erhaltene Mauerstrukturen eines römischen Kastells zutage, stellenweise über 2,5 m hoch erhalten. Besonders markant war die nördliche, abgerundete Kastellecke mit einem innen ansetzenden Eckturm und angrenzenden Mauerzügen. Zudem wurde ein vorgelagertes Grabensystem mit mindestens einem Graben freigelegt.
Die Untersuchungen ergaben zwei Bauphasen: die erste Phase datiert in die Zeit der Markomannenkriege (166–180 n. Chr.), die zweite in die zweite Hälfte des 3. Jahrhunderts, in welcher möglicherweise ein Umbau unter Kaiser Gallienus erfolgte. Die Anlage wurde jedoch bald darauf aufgegeben. Archäologische Funde aus dem späten 4. Jahrhundert belegen zudem erneute Aktivitäten auf dem Areal.
Modell der freigelegten Grabungsfläche 2024 (2024 H. Wraunek, Land NÖ)
Das Welterbe Donaulimes wächst
Der österreichische Abschnitt des Donaulimes wurde 2021 als Teil der transnationalen Welterbestätte „Grenzen des Römischen Reiches – Donaulimes (westlicher Abschnitt)“ in die UNESCO-Welterbeliste aufgenommen. Diese Eintragung unterstreicht die Bedeutung der römischen Grenzanlagen als kulturelles Erbe, das nicht nur eine militärische Abgrenzung darstellte, sondern auch den kulturellen Austausch entlang der Donau förderte.
Das Kastell in Stopfenreuth, heute am linken Donauufer gelegen, stellt somit einen weiteren Standort des Welterbes dar, welcher eine strategisch bedeutende Stelle an der Bernsteinstraße markierte, die vom Baltikum nach Süden ins Römische Reich führte. Die Militäranlagen entlang der Donau dienten nicht nur der Verteidigung, sondern auch der Kontrolle des Handels- und Personenverkehrs. Zölle konnten erhoben und Exportverbote durchgesetzt werden. Stopfenreuth spielte damit eine zentrale Rolle in der militärischen Sicherung dieses Grenzabschnitts.
Altarm der Donau bei Stopfenreuth (N. Kirchengast 2024)
Mit den erneuten archäologischen Untersuchungen im vergangenen Jahr konnte so erstmals in Österreich der Nachweis eines römischen Brückenkopfkastells erbracht werden. Weitere Analysen der Funde und Befunde im Jahr 2025 sollen neue Erkenntnisse zur Chronologie der Anlage, zur Entwicklung des Donauverlaufs und zur Funktion des Kastells im Kontext der römischen Grenzverteidigung liefern.
Weiterführende Literatur:
M. von Groller-Mildensee, Das „Öde Schloß“ an der Donau, Der Römische Limes in Österreich 1 (Wien 1900), S. 87–92.
H. G. Walter, Römische Funde in Stopfenreuth, Pro Austria Romana 7, 1957, S. 23.
K. Genser, Der österreichische Donaulimes in der Römerzeit. Ein Forschungsbericht, Der römische Limes in Österreich 33 (Wien 1989), S. 661–663.