Carnuntum in der Spätantike – Leben in der Zeitenwende
Die Zeitreise Carnuntum entführt Sie in die Zeit der Spätantike, genauer noch in die Regierungszeit Kaiser Valentinians I. (364 – 375 nach Christus). Doch was war die Spätantike? Aus heutiger Sicht war die Spätantike eine Zeit der Umbrüche und Veränderungen, die oft so gar nicht in unser „klassisches“ Römerbild passt.
So war zum Beispiel die Regierungszeit von Julius Cäsar bereits über 400 (!) Jahre vorbei. Nur so zum Vergleich, das ist etwa so lange wie für uns heute der 30-jährige Krieg und sein Beginn der Prager Fenstersturz 1618. Die Menschen damals hätten sich wohl also kaum als Zeitgenosse der frühen Kaiser wie Augustus, Nero oder Caligula verstanden.
Auch trugen die damaligen Zeitgenossen nicht mehr Toga und die klassische Legionärsrüstung, hier dominierten bei Männern eher Hosen, die Soldaten sahen für unsere Augen schon eher aus wie frühe Ritter. Frauen waren in zum Teil reich verzierten Tuniken gekleidet, wobei die Tracht nach Region und kulturellen Einflüssen variieren konnte.
Valentinian I. widmete sich intensiv dem Grenzschutz und ließ Kastelle und burgi – stark befestigte Wachtürme – errichten bzw. weiter ausbauen. Er war auch kein gottgleicher Kaiser, der aus der Prunkvolle Metropole Rom aus regierte. Er war ursprünglich einfacher Soldat, der im römischen Heer Karriere machte und von seinen Soldaten zum Kaiser ausgerufen wurde. Auch waren seine Probleme nicht die Ägypter oder Karthago, er hatte mit zahlreichen germanischen Stämmen an seiner Nordgrenze zu tun, die ebenbürtige Gegner Roms waren – so etwa die Quaden, Markomannen und Sarmaten. Seine Nachfolger (und übrigens auch die germanischen Stämme) würden dann mit den Hunnen zu tun haben, einem mächtigen Reitervolk aus der Steppe Asiens, dessen Einfall massive Veränderungen mit sich brachte. Die Terra X Dokumentation „Europa in der Zeit… der Völkerwanderung“ hat sich hervorragend mit dem Thema auseinandergesetzt. Nicht nur weil sie größtenteils in Carnuntum gedreht wurde eine große Empfehlung für alle die mehr über das Thema erfahren wollen!
Carnuntum selbst stand damals oft im Fokus der Geschichte. So hielt sich Valentinian 374 n. Chr. In der Stadt auf, was auch in der antiken Geschichtsschreibung überliefert ist. Als er während seines Feldzugs in die Stadt einzog, erwartete ihn laut dem spätantiken Autor Ammianus Marcellinus ein trauriger Anblick. Die einst blühende Stadt war verlassen und heruntergekommen:
Gerade diese Darstellung aus der antiken Literatur hat unsere historische Sicht auf Carnuntum in der Spätantike geprägt. Jedoch stellt sich die Frage, wie nahe an der Wahrheit diese Beschreibung wirklich war und ob sie für den Zustand Carnuntums repräsentativ ist. Fortschritte in der archäologischen Forschung bieten inzwischen neue Erkenntnisse. Trotz einer Umstrukturierung der Provinzverwaltung blieb Carnuntum ein bedeutendes militärisches Zentrum an der mittleren Donau - so waren laut dem militärischen Verwaltungshandbuch Legionstruppen und Flottensoldaten unter dem Kommando eines Präfekten in Carnuntum stationiert. Es war also nicht alles marode und heruntergekommen.
Auch die Funktion der Militäranlagen der Stadt veränderte sich im Übergang zur Spätantike. Der Mauerring des Legionslagers wurde verstärkt, im Lager selbst wurden Umbauten durchgeführt, darunter die Installation von Fußbodenheizungen, die auf einen erhöhten Wohnkomfort hinweisen, womöglich in Reaktion zu einer sich anbahnenden Kaltzeit. Das Auxiliarkastell wurde ab dem 3. Jahrhundert nicht mehr militärisch genutzt und verfiel. In den südlichen Randzonen der Canabae (Lagervorstadt) zeigen Funde aus dem späten 4. Jahrhundert eine Abnahme der Siedlungsaktivität, während in den östlichen Canabae neue Bautätigkeit erfolgte. Auch hier also wieder das Urteil: Es war nicht alles schlecht, wenngleich es Probleme gab.
Die Zivilstadt Carnuntums erlebte einen Wandel. Nach einem Erdbeben Mitte des 4. Jahrhunderts blieben viele Gebäude ungenutzt oder wurden nicht wieder aufgebaut. Gleichzeitig entstanden neue Gräberfelder und einige Gebäude wurden weiter genutzt, was auf eine verbleibende, aber schrumpfende Bevölkerung hinweist. Andererseits wurde teilweise neu gebaut, wie das Heidentor, das wahrscheinlich nach dem Erdbeben errichtet wurde. Alles in allem wurde die Stadt wohl verkleinert und manches verfiel, aber Carnuntum war immer noch ein regionales Zentrum von Bedeutung.
Es war also auch in der Spätantike bei Weitem nicht alles schlecht, wenngleich gerade der Region um Carnuntum turbulente Zeiten bevorstanden: Bis zum Ende der Regierungszeit Valentinians I herrschte im Reich weitgehend Frieden, ein Zustand, der sich mit der Ankunft der Hunnen in Westeuropa dramatisch änderte. 433 n. Chr. musste Rom bedeutende Teile der Provinz Pannonien an die Hunnen abtreten, wovon auch Carnuntum betroffen war. Auch Valentinian fand kein gutes Ende: Nach seiner Zeit in Carnuntum zog er ins Winterlager nach Brigetio (Komárom, Ungarn). Im Verlauf einer Verhandlung mit einer Gesandtschaft der Quaden geriet er derart in Zorn, dass er in Folge eines Schlaganfalls zusammenbrach und kurz darauf verstarb. Ihm folgt sein vierjähriger Sohn Valentinian II auf den Thron, der von den Truppen zum Kaiser ernannt wurde, wie es zu jener Zeit oftmals üblich war.